754: Der Bierzins von Wil
wie Rotbald sein Eigentum ohne Waffen schützte

Es war ein bemerkenswerter sozialer Abstieg, den der wohlhabende Alemanne Rotbald am 6. Aug. 754 beurkunden liess. Er schenkte dem (ebenfalls alemannischen) Abt Otmar und dessen Kloster St. Gallen sein über mehrere Orte, darunter Wil, verstreutes landwirtschaftliches Eigentum samt ein paar Eigenleuten. Allerdings wollte er die Güter weiter bewirtschaften und erhielt sie vom Kloster als Lehen auch wieder zurück, verpflichtete sich dafür aber zur Entrichtung gewisser jährlicher Fronarbeiten und Lehenzinsen ans Kloster, darunter ein stattliches Quantum Bier.
Was in aller Welt hatte Rotbald dazu getrieben, seinen privilegierten Stand als stolzer Freier gegen die abhängige Existenz eines zinspflichtigen Hörigen des Kloster einzutauschen? Als Grund behauptet die Urkunde lapidar: Er tat es «für sein Seelenheil»! Wirklich?
Ein Blick auf die dramatischen Zeitumstände lässt erahnen, dass Rotbald mit diesem einschneidenden Schritt in Wirklichkeit wohl einer drohenden Enteignung durch die neuen fränkischen Herrscher, die Karolinger, zuvorkam. Die Alemannen standen unter der Oberherrschaft der Franken. Wenige Jahre zuvor, 746, hatte der hohe fränkische Hofbeamte (Hausmeier) Karlmann aus der aufstrebenden Familie der Karolinger den gegen die karolingischen Hausmeier rebellierenden, letzten alemannischen Herzog Theudebald und fast den ganzen alemannischen Adel im «Blutgericht von Cannstatt» heimtückisch ermorden lassen. Damit endete das bisher teilautonome Herzogtum Alemannien. Danach setzten die Karolinger den letzten König aus der alten Dynastie der Merowinger ab. Als neuer König regierte seit 751 der Karolinger Pippin über das fränkische Reich. Die Karolinger begannen nun, reihenweise die Güter adeliger und freier Alemannen zu konfiszieren – aus Rache für ihren früheren Widerstand. Rotbald aber stand fortan unter dem Schutz des Klosters St. Gallen und war erst noch vom Kriegsdienst für die Franken befreit! Nur Freie mussten den fränkischen Aufgeboten zum Krieg Folge leisten.
Die spannende Urkunde Rotbalds zählt nicht nur zu den ältesten Urkunden Mittel- und Nordeuropas, sondern enthält auch die früheste Erwähnung von «Wil» und zudem die älteste urkundliche Erwähnung von «Bier» in Mittel- und Nordeuropa! Diesem so traditionsreichen Gebräu wollen wir uns daher in einem kleinen Exkurs noch besonders zuwenden! Erwähnenswert ist auch, dass diese 1271 Jahre alte Pergamenturkunde eine unglaublich abenteuerliche Geschichte hinter sich hat! Dass es sie überhaupt noch gibt, ist fast ein Wunder!
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